Donnerstag, 14. November 2019

Projekttag in Otjiwarongo - emotional und menschlich nicht zu ertragen

Ich re-starte in meinem Blog an diesem Tag, obwohl ich noch sehr viele Tage aufzuholen habe, weil dieser Tag ein soooo "Besonderer" war. Werde die fehlenden Tage nach und nach einstellen.





Der Tag begrüßt mich mit einem bunten Farbenspiel, dennoch soll es für mich, emotional und menschlich, der schlimmste Tag meines bisherigen Lebens werden.






Um 6 Uhr stehe ich auf, etwas zu spät für den Sonnenaufgang, dennoch schön. Duschen und Auto packen, um 6:30 Uhr geht es zum Frühstück, Anja und Sophia warten sicherlich schon auf mich. Gefrühstückt, ausgecheckt und bezahlt, geht es um kurz nach 8 Uhr in Richtung Kalkfeld. Hier hatte ich gestern Sister Salfine und ihre Tochter Jentary kennengelernt. Jentary schreibt gerade ihre Prüfungen, hat eine Erkältung und nichts dagegen einzunehmen. Gestern hatten wir auf der Tankstelle etwas zum Einreiben von Wick besorgt, sonst gibt es hier nichts.





Ich habe noch Wick DayNait an Bord, hilft nicht wirklich, fährt aber den Körper runter, so dass er sich erholen kann. Auch habe ich noch sehr viel Wasser an Bord, welches ich nicht mehr benötige. Kurz vor 9 Uhr treffen wir ein, werfen alles ab und 10 Minuten später setzen wir unseren Marsch in Richtung Otjiwarongo fort.

Anja unterstützt hier schon eine Weile über ihre Kirchenarbeit. Im April/Mai wurde auf der Müllhalde von Otjiwarongo entdeckt, dass hier sehr viele Menschen leben und von der Müllhalde leben. Dies kam bei uns an und Anja fragte mich, ob ich mich hier für eine Aktion vor dem anstehenden Winter beteiligen könnte / möchte. Dem stimmte ich zu. Wir unterstützten mit Decken, Essen und Schuluniformen für Kinder der Müllhalde, die mangels Uniform nicht zur Schule konnten.

Nach der "Auslieferung" der Hilfsgüter bekamen wir Bilder. Auf dieser Basis "verguckte" ich mich in ein Mädchen Namens Fabiola. Über den zuständigen Pastor John informierte ich mich und sagte Unterstützung zu, wenn er es schafft, Fabiola und ihren Bruder in die Schule zu bringen. Ich kürze die Geschichte ab, wir schafften es Fabiola und ihren Bruder in ein Hostel und damit auch in die Schule zu bekommen. Bis ihre Mutter sie dann auf die Müllhalde zurückrief. Dazu später mehr auf meiner HefAP-Seite.

Anja verliebte sich in Kavero, auch ein Kind von der Müllhalde. Insgesamt haben wir 13 Kinder von der Müllhalde in die Schulen gebracht, primär durch die Schuluniformen, aber auch durch die Bezahlung der Hostels. Inwieweit dies im neuen Schuljahr noch gilt, werden wir beobachten. Auf Kavero trafen wir bei Pastor John. Das Hostel ist auf dem Kirchengelände und der Pastor und seine Frau haben eine besondere Beziehung zu Kavero aufgebaut. Der Junge macht einen guten Eindruck auf mich, auch ich werde mich hier privat mit für ihn jetzt einbringen.



Wir waren zunächst beim Pastor, seiner Frau und trafen auch auf einige Girls vom Girls-Club, die sich soweit möglich, seit einigen Monaten um die Menschen auf der Müllhalde kümmern. Dann ein kurzer Blick ins Hostel, in dem auch Kavero untergebracht ist. Dies wird von Adelheid, einer taffen Frau geleitet, die den Laden offensichtlich super im Griff hat.






Kirchenglocke - geht also auch sehr einfach ...



Wir haben dann unsere mitgebrachte Kleidung als Spende übergeben. Die Kirche wird dafür sorgen, dass die passenden Personen diese erhalten werden.




Danach ging es zur Schule, in die aktuell Fabiola geht. Ja, sie ist noch im Einsatz, geht dabei aber jeden Tag von der Müllhalde los und kehrt nach Unterricht dorthin zurück. Sie hat einen bezahlten Hostel-Platz, hätte 3 * Essen am Tag, dennoch ruft ihr Mutter sie auf die Müllhalde. Ihr Bruder geht derzeit nicht in die Schule. Wir treffen auf Fabiola. Sie ist ein aufgewecktes Kind, hat dennoch noch einiges an sozialen Kontakten aufzuholen und ist laut Einschätzung der Lehrer derzeit "average", also Durchschnitt. Die Lehrer meinen, wenn sie erst wieder im Hostel ist, regelmäßig Essen bekommt, geht es aufwärts mit ihr.




Bei dieser Gelegenheit wurden uns die neuen Schuluniformen gezeigt. Nett und gut anzusehen. Und wie häufig, hatte ich dann eine Frage, die vor mir noch keiner gestellt hatte. "Warum neue Uniformen?". Die Antwort ist erschreckend und traurig zugleich. Der ortsansässige Schneider produziert die alten nicht mehr. Also hieß es einen neuen suchen, der laut Auskunft doppelt so teuer gewesen wäre oder eine neue Uniform. Und diese Schule wäre die letzte, die jetzt die Uniformen tauscht. Nur, wer dies für die knapp 1.600 Kinder an dieser Schule zahlt, ist unklar. Die meisten Eltern haben das Geld nicht, benötigen Sponsoren, dies auch der Grund der Vorstellung.

Da man bei diesem Besuch mit der Schulleitung klären konnte, dass auch Kavero und der Bruder von Fabiola im nächsten Schuljahr hier starten können, konnten wir die andere Schule von der Liste der Besuche für heute streichen. Also zurück zur Kirche und das Essen vorbereiten. Tja und ab hier begann der wirklich furchtbare und schier nicht zu ertragende Teil des Tages. Der Girls Club mit Unterstützung der Kirche und uns, kocht seit wenigen Monaten, einmal im Monat für die Menschen auf der Müllhalde.








Heute gibt es Pasta, einen Hühnchenschenkel und dazu ein Getränk. Das Essen wird in Styroporbehälter gefüllt und alles zusammen, mit einer Gabel in eine Plastiktüte. Natürlich habe ich hier direkt diskutiert und man will es beim nächsten Mal etwas anders machen. Dieses Essen gehört zum Besuch des Pastors, Vertreter vom Girls Club und diesen Monat auch zu einer Art Weihnachtsfeier. Die Schulen schließen in der nächsten Woche bis zum neuen Jahr und so wird es kombiniert.




Das diese Veranstaltung heute stattfindet, liegt an unserem Besuch, damit wir dabei sein können. Dies wurde uns vorher aber nicht mitgeteilt. Vermutlich wären wir dennoch mitgegangen, warum auch nicht. Wir luden die Verpflegung in ein Auto und dann ging es im Konvoi zur Müllhalde.

Ich werde ganz bewusst nicht viele Bilder zeigen. Habe auch gar nicht viele gemacht. Aber einige Worte möchte und muss ich zu diesem "Ereignis" verlieren. Der kurzfristige und auch unerwartete Krebstod meines Vaters vor einigen Jahren, war emotional sehr schwer für mich und wird es auch für immer bleiben. Nur, dass was ich hier erleben musste, weil es so viele Menschen, vor allem Kinder und Babys betrifft, ist für mich der emotional und menschlich schlimmste Tag in meinem Leben.

Hier leben über 100 Menschen auf und direkt neben der Müllhalde. Keiner hat ein Einkommen, außer von dem zusammengestellten Müll, was Verwerter ihnen dafür geben. Viele, vermutlich alle, kommen täglich hierher und "arbeiten" auf der Müllhalde. Entweder für Verwerter, vor allem aber um im frisch abgeworfenen Müll nach etwas essbarem zu suchen.

Immer wieder tauchen Kinder, noch kleinere Kinder und auch viele Babys auf. Wir treffen die Mütter von Fabiola und Kavero, mit jeweils weiteren und vor allem kleineren Kindern. Wieso hat man Nachwuchs, wenn man ohnehin schon im maximalen Elend lebt? Die Frage ist einfach zu beantworten. Wo es kein Interesse der Gemeinde gibt, gibt es auch keine Ordnungskräfte, also gibt es ungestrafte Gewalt, ich denke ich muss diesen Satz nicht weiterführen - unglaublich traurig, wie sorglos Menschen mit Menschen umgehen.

Seien es die Menschen der Gemeinde, die Männer mit den Frauen auf der Müllhalde und vermutlich auch die Frauen selbst, siehe am Beispiel der Mutter von Fabiola. Nur am Ende sind die Kinder die maximal Leidtragenden, sie können überhaupt nichts dafür, dass sie in diese schreckliche Welt geboren wurden. Sie hatten keine Chance vor der Geburt und die allermeisten werden weiterhin keine Chance haben. Woher kommt denn bitte jeden Tag etwas zu essen für diese Menschen? Es kommt nichts, von niemandem. Die Aktionen des Girls Club sind aus meiner Sicht noch weniger als der besagte Tropfen auf dem heißen Stein.






Gegen 14 Uhr startet endlich das Event. Dafür wurde ein kleines Zelt errichtet. Dort versammelten sich alle. Der Pastor hielt eine Rede, seine Frau übersetze in eine andere Sprache und auch Sprecher der Personen der Müllhalde sagten etwas. Es wurde gesungen und gebetet. Das eigens angeschleppte Wasser, diese Menschen haben keinerlei Zugang zu Wasser, sollte zum Händewaschen genutzt werden. Klappte so nicht, sehr schnell hatten ganz viele Schüsseln, Flaschen, Dosen, was auch immer dabei und füllten das Wasser für sich ab.

Dann wurden die Pakete verteilt und das was da drin war, wurde von den meisten umgehend verschlungen. Einige sammelten die Beutel für ihre Familie und zogen davon. Es gab auch einen Austausch zwischen den Menschen der Müllhalde und den Helfern. Genau dies möchte der Pastor und der Girls Club auch erreichen. Mehr Austausch, Verständnis für und miteinander. Aber auch Aufklärung, siehe der Hinweis mit dem vielen Nachwuchs.

Was bleibt? Der Pastor und der Girls Club wollen mit diesen Aktionen die Gemeinde und die Verwaltung auf diese Menschen auf der Müllhalde aufmerksam machen. Ich frage mich nur wie? Die sind nicht dabei, nehmen scheinbar keine Notiz, ist denen egal. Das ist das größte Fass ohne Boden, welches ich je gesehen habe. Hier wird nichts, aber auch gar nichts passieren - ich habe keinerlei Hoffnung, dass sich für die Menschen auf der Müllhalde etwas ändern wird. Wir können häufiger Essen bringen und Wasser, damit ändern sich die Umstände vielleicht ein wenig. Ich habe großen Respekt vor dem Engagement und dem Willen zur Verbesserung der Kirche und der Mädels vom Girls Club, dennoch glaube ich nicht dran.

Wir werden dran bleiben und weiterhin versuchen, den Kindern ein Hostel und einen Schulplatz zu vermitteln, so sie dann auch kommen. Für Kavero sieht alles gut aus, seine Mutter ist damit einverstanden, sie kann ihm aus ihrer Sicht ohnehin nichts bieten, nicht einmal täglich etwas zu essen. Bei Fabiolas Mutter ist es jetzt ähnlich, sie scheint die Chance für 2 ihrer Kinder verstanden zu haben und hat eingewilligt, beide im neuen Jahr in das Hostel und in die Schule zu lassen.

Das ich uns Hinweise zur Kleidung und zu Schuhen oder besser häufig zu gar keinen Schuhen erspare, ist bestimmt besser so. Das dies hier ein unfassbar und nicht zu ertragender Zustand ist, kommt vielleicht mit den wenigen Worten rüber. Ich war danach emotional so erschlagen, dass ich mich auch direkt mitgeteilt habe. Ich möchte an diesen Ort nicht zurückkehren, die Menschen auch pauschal nicht weiter unterstützen, weil ich dies einfach nicht ertragen kann. Bei den Kindern bin ich dabei, bei allem anderen nicht.

Was aber am intensivsten hängen geblieben ist und mir immer wieder die Tränen in die Augen treibt, während ich dies jetzt schreibe, daran denke oder darüber rede, ist das Lächeln dieser Menschen ... Im Grunde gibt es keine Hoffnung und dennoch lächeln sie ...

Wir verabschieden uns vom Pastor, seiner Frau und den Mitgliedern des Girls Club und verlassen die Müllhalde. Wir bedanken uns dafür, dabei gewesen zu sein, auch wenn dies gerade ein emotionales Chaos hervorruft. Ich habe schon viel gesehen, nur dies toppt alles. Wir haben schon viel erreicht und machen auch weiter, weil Hilfe an so vielen Orten und Gelegenheiten benötigt wird. Dieses Ereignis zeigt wie unglaublich schwer es sein kann zu helfen und dennoch geht es weiter.





Und es geht auch für uns weiter. Wir fahren zurück in die Stadt. Füllen beim SuperSpar die Bestände auf und dann geht es weiter in Richtung Norden zur Eldorado Lodge & Camping. Mein Projekt im Norden, bisher in Divundu, ist bis auf weiteres ausgesetzt, weil meine Ansprechpartnerin ausgefallen ist. Ein gerade erst angelaufenes neues Projekt ist schon wieder beendet, bevor es richtig gestartet wurde. Für das bekannte Projekt ist es sehr schade, mal sehen was noch kommt, für das neue, ist es halt so, besser ein früher Stopp, als ...

Dadurch habe ich für meine Reise einige Tage "gewonnen" und mich für den Etosha National Park entschieden, in dem ich jetzt einige Tage verbringen werde. Heute aber kurz vorher auf Eldorado. Hier haben Anja und Sophia ein Zimmer, ich ziehe auf die Campsite. Abends trinken wir noch ein Bier zusammen und dann geht es nach einem aufwühlenden Tag in die Kojen. Am Nachmittag und Abend sitzen die Eindrücke noch heftig in den Köpfen, morgen sieht es wieder anders aus, das Leben muss und geht weiter.






Tageshöchsttemperatur: 37 Grad
Tageskilometer: 266

3 Kommentare:

  1. Ich freue mich auf tolle Bilder von Löwen, Giraffen, Elefanten & Co und dann dieser hammerharte Bericht. Was soll/muss ich tun? Augen zumachen? Eine Einmalspende? Dauerauftrag? Was ist Nachhaltig und was ist nur ein kleiner Tropfen?
    Mir viel gleich ein, dass mein ältester Bruder so um 1960 herum, ein Negerbaby als Patenkind hatte und tatsächlich jedes Jahr zu Weihnachten ein Bild von besagtem Kind bekommen hatte.
    Auf jeden Fall hast Du mich erst einmal nachdenklich gemacht, dafür Danke

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  2. Jetzt hatte ich das Textfeld schon bis zum max. beschrieben. Nochmal gelesen und wieder verworfen. Dein Erlebnis hat mich berührt und tut es immer noch. Ganz unmoralisch - Scheisse, dass wir Menschen so unmenschlich sind! LG Peter

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  3. Aber wo bleiben die fehlende Berichte???

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